Expertise-Guide · 7.500+ Wörter · Aktualisiert 2025

Metaprogramme in der Personalauswahl

Von Leslie Cameron-Bandler bis zur praktischen Anwendung: Alles über die 10+ unbewussten Denk- und Motivationsmuster, Interviewtechniken und wie Sie Role Fit im Recruiting messbar machen.

Lesezeit: ~30 Minuten November 2025 Von Dipl.-Psych. Ralph Köbler

1. Was sind Metaprogramme?

Metaprogramme sind unbewusste Filter unserer Wahrnehmung, die die Art und Weise organisieren, wie wir denken und uns motivieren. Sie ermöglichen es, festzustellen, welche Informationen jemanden motivieren.

Geschichte und Entwicklung

Das Konzept der Metaprogramme hat seine Wurzeln in den Forschungen von C.G. Jung zu psychologischen Typen. In den USA griff Isabelle Myers-Briggs diese Arbeiten auf und entwickelte daraus den Myers-Briggs-Type-Indicator (MBTI), einen beliebten Persönlichkeitstest in Personalabteilungen.

Leslie Cameron-Bandler (früher Leslie Lebeau) und David Gordon entwickelten das Modell der Metaprogramme gemeinsam mit fortgeschrittenen Studenten in den 1980er Jahren. Es entstand aus dem Bestreben, Klienten kontextübergreifend zu verstehen und den effektivsten Ansatzpunkt für Veränderungsarbeit zu finden. Die erste Veröffentlichung erfolgte 1981 im Master Practitioner Participant Manual von Leslie Cameron-Bandler.

Später wandten Experten wie Rodger Bailey, Shelle Rose Charvet und Wyatt Woodsmall das Modell in verschiedenen Bereichen an, darunter Business Assessment und Consulting. Seit 2004 stehen wissenschaftlich fundierte psychometrische Tests auf Basis des Metaprogramm-Modells zur Verfügung, wie z.B. der CDAQ©, der die Anforderungen der British Psychological Society erfüllt, und auch die von mir entwickelte esc Potenzialanalyse.

Kernprinzipien der Metaprogramme

Filter der Wahrnehmung

Unbewusste Filter, die organisieren, wie wir Informationen verarbeiten, uns motivieren und welche Sprachmuster uns überzeugen.

Bipolare Kontinua

Jedes Metaprogramm ist bipolar: Beide Ausprägungen kommen bei allen Menschen in unterschiedlicher Mischung vor (z.B. 70% Hin-Zu, 30% Weg-Von).

Die Art, nicht der Inhalt

Bei Metaprogramm-Fragen ist weniger der Inhalt der Antworten wichtig, sondern vielmehr die Art und Weise, WIE geantwortet wird.

Wichtige Grundregeln:

  • Kontext-abhängig: Verhaltensvorhersagen sind nur im Kontext der gestellten Fragen gültig
  • Variabel: Metaprogramme können zustands- und stressabhängig variieren
  • Wertfrei: Es gibt keine "guten" oder "schlechten" Metaprogramme; ihre Vorteilhaftigkeit hängt vom Kontext ab
  • Kein Test: Metaprogrammfragen dienen dem besseren Verständnis, nicht als "Prüfung"
  • Keine Universalpersönlichkeit: Erfolgreiche Menschen kennen ihre Stärken und bleiben authentisch

Unterschied: Gravesmodell vs. Metaprogramme

Aspekt Gravesmodell Metaprogramme
Was wird gemessen? Werte & Grundüberzeugungen ("Was ist mir wichtig?") Denkpräferenzen & Informationsverarbeitung ("Wie denke ich?")
Recruiting-Funktion Cultural Fit Role Fit
Beispiel Graves5 = Erfolg & Leistung sind wichtig Hin-Zu = Motiviert durch Ziele (nicht Probleme)

Die Kombination aus Gravesmodell + Metaprogrammen gibt ein vollständiges Bild: Werte + Denkpräferenzen = Cultural Fit + Role Fit.

2. Ziel- und Problemlösungsmotivation

Dieses Metaprogramm ist eng mit den persönlichen Werten eines Menschen verknüpft. Werte sind das, was uns wichtig ist und uns motiviert. Sie können bewusst oder unbewusst wirken und sind neuropsychologisch verankerte, starke Motivatoren für unser Verhalten.

Zielmotivation Symbol: Person mit positivem Blick nach vorne

Zielmotivation (Hin-Zu)

Menschen mit Zielmotivation:

  • Möchten etwas erreichen und sind motiviert, etwas zu bekommen
  • Sind motiviert durch Visionen und attraktive Zukunftsvorstellungen
  • Finden Erfüllung im Erreichen von Zielen
  • Arbeiten gerne mit Projektplänen und Prioritäten
  • Zukunftsorientierter Zeitfokus

Körpersprache:

  • Zielorientierte Gestik (zur Körpermitte, dann nach vorne)
  • Zeigt auf etwas, Nicken
  • Entspannter Körper, häufiges Lächeln
  • Motiviert klingende Stimme
Problemlösungsmotivation Symbol: Person mit kritischem, problemorientiertem Blick

Problemlösungsmotivation (Weg-Von)

Menschen mit Problemlösungsmotivation:

  • Sind motiviert, Probleme zu lösen und Hindernisse zu beseitigen
  • Fühlen sich durch schwierige Situationen belebt
  • Können gut mit unvorhergesehenen Hindernissen umgehen
  • Organisieren sich nach dem "Dringlichkeitsprinzip"
  • Gegenwartsfokus

Körpersprache:

  • Eher angespannter Körper, weniger Lächeln
  • Ausgrenzende Gesten, leichtes Kopfschütteln
  • Modaloperatoren der Notwendigkeit (müssen, sollen, brauchen)
  • Spricht über zu vermeidende Situationen

Interviewfragen

Fragetechnik

Einstiegsfrage: "Wenn Sie auf die letzten Jahre zurückblicken: Was ist Ihnen in Ihrer Arbeit wirklich wichtig?"

Vertiefung: "Was genau ist Ihnen an [Wert] wichtig?" oder "Warum ist Ihnen das wichtig?"

Wichtig: Hin-Zu ist die "Image-Variante" - Bewerber möchten sich oft als zielorientiert präsentieren. Achte BESONDERS auf Körpersprache und Stimmklang! Oft klingt die Stimme bei oberflächlich positiven Antworten "unabgeschlossen" - dann tiefer fragen.

Erkennungsmerkmale Hin-Zu:

  • Spricht über Ziele und was erreicht werden möchte
  • Modaloperatoren der Möglichkeit (wollen, hätte gerne, würde gerne)
  • Kongruente, motivierte Körpersprache
  • Beispiel: "Ich möchte neue Lösungsmöglichkeiten finden und Wissen austauschen."

Erkennungsmerkmale Weg-Von:

  • Spricht über Probleme oder zu vermeidende Situationen
  • Modaloperatoren der Notwendigkeit (müssen, sollen, brauchen)
  • Körpersprache eher angespannt
  • Beispiel: "Damit ich nicht Stunden mit dem Arbeitsweg verbringe."

Stellenprofile

Zielmotivation geeignet für:

  • Leadership / Führung mit Strategie & Planung
  • Projektmanagement
  • Positionen mit Ergebnisverantwortung
  • Kreative Aufbauarbeit
  • Beratungstätigkeit
  • Die meisten Verkaufspositionen

Problemlösungsmotivation geeignet für:

  • Produktionsleitung, COO
  • Buchhaltung und operatives Controlling
  • Qualitäts- und Risikomanagement
  • Vertriebsinnendienst, Backoffice
  • Security- oder Versicherungsbranche
  • IT: Testen, Testmanagement, Netzwerksupport
Verteilung: Der Mittelwert liegt bei 55% Zielmotivation und 45% Problemlösungsmotivation bei einer Standardabweichung von 24% (Bezugsgruppe esc Potenzialanalyse, n=1.216, 2017-2018).

3. Gleichklangfaktor und Veränderungsblick

In der Wahrnehmung gibt es zwei Hauptansätze: Erkennst du zuerst Gemeinsamkeiten oder Unterschiede? Dieses Muster filtert, wie Informationen im Wahrnehmungsprozess verarbeitet werden.

Matching vs. Mismatching: Drei Würfel - Siehst du Gemeinsamkeiten oder Unterschiede?
Die Würfel-Frage: Was fällt dir zuerst auf - Gemeinsamkeiten oder Unterschiede?

Gleichklangfaktor (Matching)

Menschen mit Gleichklangfaktor:

  • Erkennen zuerst Ähnlichkeiten zu bereits bekannten Dingen
  • Aufmerksamkeit auf das, was stimmig ist
  • Können sich leicht an Gesprächspartner anpassen
  • Kommen durch wahrgenommene Ähnlichkeiten leicht in Rapport
  • Gut in evolutionären Verbesserungen: "Was gut ist, kann besser gemacht werden"
  • Im Extremfall: schwer kritisch zu denken, zu lange Verbesserung statt Veränderung

Beispiel: Bei drei Würfeln sehen sie: "Alle drei sind nahe beieinander und aus demselben Material."

Veränderungsblick (Mismatching)

Menschen mit Veränderungsblick:

  • Erkennen zuerst Unterschiede zu bereits bekannten Dingen
  • Aufmerksamkeit auf das, was nicht stimmig ist
  • Kritischer Blick, der Abweichungen erkennt
  • Neigen zu "Ja, aber..."-Argumenten
  • Bevorzugen radikale Veränderungen statt evolutionärer Verbesserung
  • Im Extremfall: "Schwarz-Weiß-Denken", ständige Veränderungen

Beispiel: Bei drei Würfeln sehen sie: "Sie sind unterschiedlich groß, und einer steht auf einer Kante."

Interviewfragen

Fragetechnik

Kernfragen:

  • "Wie ist die Beziehung zwischen Wert X und Wert Y?" (aus Wertefragen)
  • "Wie ist die Beziehung zwischen Arbeitsstelle X und Arbeitsstelle Y?" (aus CV)
  • "Wie ist die Beziehung zwischen den ersten drei Jahren bei Firma XY und den letzten drei Jahren?"
Tipp: Dieses Muster lässt sich auch ohne direkte Fragen beobachten - achte darauf, ob der Bewerber auf Standpunkte eingeht, indem er Ähnlichkeiten thematisiert oder ob er sich auf Unterschiede konzentriert ("Ja, aber...").

Erkennungsmerkmale Matching:

  • Nimmt eher Gleichheiten und Ähnlichkeiten wahr
  • Verwendet Komparative wie "besser", "intensiver"
  • Beispiel: "Die Werte zielen in die gleiche Richtung, es geht um..."

Erkennungsmerkmale Mismatching:

  • Konzentriert sich eher auf Unterschiede
  • Verwendet oft das Wort "aber" ("Ja, aber...")
  • Formulierungen wie "ganz anders", "haben nichts miteinander zu tun"
  • Versteht eventuell das Wort "Beziehung" in der Frage nicht

Wichtige Kombinationen mit Ziel-/Problemlösungsmotivation

Kombination Effekt
Mismatching + Hin-Zu ✅ Günstig: Erkennst Unstimmigkeiten, siehst aber sofort, wie man es besser machen kann
Mismatching + Weg-Von ⚠️ Kritik wird verstärkt - achte darauf, dass Kritik konstruktiv bleibt
Matching + Weg-Von ✅ Beziehungsaufbau + Blick für Probleme - Problemlösung kompensiert fehlende Kritikfähigkeit
Matching + Hin-Zu ⚠️ "Rosa Brille" - unkritisch, schwacher Blick für Probleme. Kann durch Detailorientierung oder Graves4 ausgeglichen werden
Verteilung: Der Mittelwert liegt bei 62% Matching und 38% Mismatching bei einer Standardabweichung von 22% (Bezugsgruppe esc Potenzialanalyse, n=1.216, 2017-2018).

4. Entscheidungsfähigkeit und Dienstleister-Faktor

Dieses Muster ist besonders wichtig im Kontext Führung. Es geht um beurteilen und entscheiden. Wo liegt der Bezugsrahmen für Realitätseinschätzung? Innere Werte oder externe Quellen?

Entscheidungsfähigkeit Symbol: Selbstbestimmte Person

Entscheidungsfähigkeit (Internal)

Menschen mit Entscheidungsfähigkeit:

  • Beurteilen die Qualität ihrer Arbeit selber
  • Benötigen kein Lob, treffen schnell Entscheidungen
  • Haben eigene Maßstäbe und Kriterien
  • Sind nicht so offen für Feedback
  • Bei Kritik: zweifeln eher an der anderen Person als an sich

Körpersprache:

  • Zeigt auf sich, sitzt aufrecht
  • Hält inne, bevor auf Bewertung reagiert wird

Beispiel: "Ich weiß das selbst, ob ich etwas sehr gut gemacht habe oder nicht."

Dienstleister-Faktor Symbol: Feedback-orientierte Person

Dienstleister-Faktor (External)

Menschen mit Dienstleister-Faktor:

  • Machen Qualität an Feedback von außen fest
  • Treffen nicht so leicht eigene Entscheidungen
  • Benötigen Feedback/Lob für Motivation
  • Sind sehr offen für Feedback
  • Bei Kritik: neigen dazu, sich selbst anzuzweifeln

Körpersprache:

  • Beobachten Reaktion des Gegenübers
  • Neigen sich beobachtend vor

Beispiel: "Am Feedback von Kollegen und Vorgesetzten, an den Zahlen."

Interviewfragen

Kernfrage

"Woher wissen Sie, dass Sie gute Arbeit geleistet haben?"

Tipp: Die Antwort auf diese einzige Frage reicht meist aus, um das Muster klar zu erkennen. Achte darauf, ob die Antwort mit "Ich" beginnt (Internal) oder Feedback von anderen erwähnt (External).

Internal-Antworten:

  • "Ich weiß es selber"
  • "Wenn ich selbst das Gefühl habe..."
  • "Ich erkenne, dass..."
  • Das Wort "Ich" steht im Zentrum

External-Antworten:

  • "Am Feedback von..."
  • "Wenn das Projekt ohne Probleme funktioniert"
  • "Lob und Respekt für die Leistung"
  • Das Wort "Ich" kommt nicht oder kaum vor

Stellenprofile

Entscheidungsfähigkeit geeignet für:

  • Geschäftsführung, Management & Führung (ideal: 60% internal, 40% external)
  • Selbstständige Tätigkeiten
  • Recruiting
  • Controlling, Qualitätsmanagement
  • Software Testmanagement

Dienstleister-Faktor geeignet für:

  • Verkauf, Marketing
  • Kundendienst & Dienstleistung
  • HR Active Sourcing (ideal: 60% external, 40% internal)
  • Rezeption, Backoffice, virtuelle Assistenz
  • Die meisten Positionen ohne Führungsverantwortung
Verteilung: Der Mittelwert liegt bei 53% Dienstleister-Faktor und 47% Entscheidungsfähigkeit bei einer Standardabweichung von 22% (Bezugsgruppe esc Potenzialanalyse, n=1.216, 2017-2018).

5. Aufbaufokus und Kontinuität

Dieses Metaprogramm ist das wichtigste Muster, das die sogenannte Berater-Persönlichkeit von Linien-Funktionen unterscheidet. Für Führungskräfte differenziert es Leadership- und Management-Kompetenzen.

Aufbaufokus Symbol: Innovation und neue Wege

Aufbaufokus (Options)

Menschen mit Aufbaufokus:

  • Lieben es, Systeme und Prozeduren zu entwickeln
  • Möchten kreative Aufbauarbeit leisten, neue Wege gehen
  • Sind weniger motiviert für Tagesgeschäft bzw. Standardprozesse
  • Wahlmöglichkeiten motivieren sie
  • "Warum"-Einstellung: "Warum ist das wichtig? Warum machen wir das?"

Etwas überspitzt formuliert: Menschen mit Aufbaufokus erfinden neue Möglichkeiten.

Kontinuität Symbol: Bewährte Prozesse und Routinen

Kontinuität (Procedures)

Menschen mit Kontinuität:

  • Halten sich gerne an Vorgehensweisen, Best Practices, Strategien
  • Routinierte Umsetzung von bewährten Methoden
  • Sind stark im Tagesgeschäft bzw. in der "wirklichen Arbeit"
  • Orientieren sich an Tätigkeiten und Tatsachen
  • "Wie"-Einstellung: "Wie funktioniert das? Wie kann ich das anwenden?"

Etwas überspitzt formuliert: Menschen mit Kontinuität arbeiten "wirklich".

Interviewfragen

Fragetechnik

Kernfragen (bereits in Phase 2A - CV-Besprechung):

  • "Warum haben Sie sich für den [Arbeitgeber XY] entschieden?" (aus CV)
  • "Warum haben Sie sich für Ihren aktuellen Arbeitgeber entschieden?"
  • "Warum haben Sie sich nach 5 Jahren für einen Wechsel entschieden?"
Wichtig: Nur Fragen nach abgeschlossenen beruflichen Entscheidungen der Vergangenheit! Nicht: "Warum bewerben Sie sich hier?"

Erkennungsmerkmale Aufbaufokus (Optional):

  • Antwort mit Liste von Kriterien: "Weil 1. ..., weil 2. ..., weil 3. ..."
  • Antwortet auf das "Warum"
  • Beschreibt Gelegenheiten, Möglichkeiten
  • Beispiel: "1. Gehalt 2. Interesse an neuer Branche 3. Zentrale Lage"

Erkennungsmerkmale Kontinuität (Prozedural):

  • Antwort mit Geschichte: "Nun, das war so..."
  • Antwortet auf "wie" statt auf "warum": "wie ist es dazu gekommen"
  • Beschreibt evtl., dass sie nicht selbst gewählt haben: "Es ist passiert", "war Zufall"
  • Beispiel: "Ich war mit der Schule fertig. Diese Spedition war die erste, die mir einen Arbeitsplatz angeboten hatte."

Leadership vs. Management

Aspekt Management (Prozedural) Leadership (Optional)
Fokus Vergangenheit und Gegenwart Zukunft und Vision
Arbeitsweise Bis in Details planen, Bewährtes erhalten Richtung geben, Neuland betreten
Aufgaben Effizienz, Budgetieren, Strukturieren, Ziele definieren Risiko erkennen, entwickeln, transformieren, empowern
Metaprogramme Problemlösungsmotivation, Kontinuität, Prozessfokus Zielmotivation, Aufbaufokus, Personenorientierung
Graves-Ebenen Graves 2-5 Beginnt in voller Kraft mit Graves 6, 7, 8
Zentrale Erkenntnis: "Leadership hat Graves5 als Basis, beginnt aber in voller Kraft erst mit Graves6, Graves7 und den höheren Graves-Ebenen. Damit sind Agilität und Leadership aus Sicht der tieferen psychologischen Struktur Synonyme."
Verteilung: Der Mittelwert liegt bei 54% Aufbaufokus und 46% Kontinuität bei einer Standardabweichung von 22% (Bezugsgruppe esc Potenzialanalyse, n=1.216, 2017-2018).

6. Weitere wichtige Metaprogramme

Die esc Potenzialanalyse erfasst 10+ Metaprogramme. Neben den 4 Hauptdimensionen gibt es weitere wichtige Muster:

Proaktiv und Reflektiv (Handlungsfilter)

Proaktiv: Macherpersönlichkeit

Proaktiv

  • Macherpersönlichkeit, unternehmerisch
  • Ergreift Initiative, handelt spontan
  • Entscheidungen schnell, "aus dem Bauch"
  • Verstehen sich als Ursache, nicht Wirkung
  • Telefon bevorzugt gegenüber E-Mail
  • Frage: "Beschreiben Sie mir Ihre typische Arbeitsweise."
Reflektiv: Denkerpersönlichkeit

Reflektiv

  • Denkerpersönlichkeit, analysiert gründlich
  • Beobachtet erst, handelt dann
  • Lässt Dingen ihren Lauf
  • Reagiert eher, als dass sie agiert
  • E-Mail bevorzugt gegenüber Telefon
  • Stelleneignung: Kundendienst, Reklamation, Inbound, Verwaltung, Forschung
Verteilung: Mittelwert 39% Proaktiv / 61% Reflektiv, Standardabweichung 28% (Bezugsgruppe esc Potenzialanalyse, n=1.216, 2017-2018).

Überblicks- und Detailorientierung

Überblicksorientierung: Das große Ganze sehen

Überblicksorientierung (Global)

  • Lieben den Überblick, konzeptuelle Arbeit
  • Befassen sich gerne mit Strategie
  • Präsentieren oft nicht linear
  • Deduktiv (Top-down): vom Überblick zu Details
  • Können gut delegieren
  • Stelleneignung: Führung, Projektleitung, Strategie, Langfristige Entwicklung
Detailorientierung: Präzise Einzelheiten

Detailorientierung (Specific)

  • Sehr gut in Detailarbeit
  • Kommen am besten mit kleinen Einheiten zurecht
  • Handeln sequenziell, Schritt für Schritt
  • Induktiv (Bottom-up): von Details zum Bild
  • Können als FK weniger gut delegieren
  • Stelleneignung: Buchhaltung, Lohnverrechnung, Qualitätskontrolle, Backoffice

Prozessfokus und Personenorientierung

Prozessfokus: Diagramme und Systeme

Prozessfokus (Sachorientierung)

  • Hauptfokus auf Produkten, Prozessen, Fakten
  • Arbeit wird an Ergebnissen organisiert
  • Gefühle haben wenig Funktion am Arbeitsplatz
  • Menschen = Teil von Abläufen
  • Strategischer, abstrakter Fokus
  • Frage: "Erzählen Sie von einer Situation, wo Wert X erfüllt war." → Wenn wenig Gefühle/Menschen erwähnt = Sachorientierung
Personenorientierung: Menschen und Beziehungen

Personenorientierung

  • Gedanken und Gefühle anderer im Vordergrund
  • Arbeit organisiert sich um Menschen
  • Charakter & Persönlichkeit stark berücksichtigt
  • Menschen sind einzigartig, nicht austauschbar
  • Projekt = erst Kunden/Personen, dann Ziele
  • Stelleneignung: Coach, Trainer, kreative Berufe, agile Führung (Leadership)
Management vs. Leadership: Dieses Muster ist eine gute Differenzierungs-Skala. Führungskräfte von agilen Teams benötigen eher die Leadership-Ausprägung der Personenorientierung.
Verteilung: Mittelwert 43% Personenorientierung / 57% Prozessfokus, Standardabweichung 24% (Bezugsgruppe esc Potenzialanalyse, n=1.216, 2017-2018).

Konzeptfokus und Praxisorientierung

Im Kontext der Arbeit eine Variante der Jung'schen Typologie: Intuition vs. Sensorik. Mittelwert: 55% Praxisorientierung, 45% Konzeptfokus.

Praxisorientierung: Konkrete Fakten und Tatsachen

Praxisorientierung

  • Bodenständige Ausrichtung auf Fakten
  • Konkrete Themen und Tatsachen
  • "Gesunder Menschenverstand"
  • Ausrichtung auf praktische Aspekte
  • Stelleneignung: Besonders relevant für Verkauf (bei den Kundenthemen bleiben)
Konzeptfokus: Ideen und Strategien

Konzeptfokus

  • Theoretisch, konzeptionell
  • Hohe Abstraktionsfähigkeit
  • Phantasievoll, intuitiv
  • Ausrichtung auf Ideen, Strategien, Konzepte
  • Stelleneignung: Forschung (in bestimmten Disziplinen)

Resilienz: Misserfolgstoleranz und Belastbarkeit

Resilienz beschreibt die Fähigkeit, mit widrigen Umständen produktiv umzugehen. Besteht aus zwei Komponenten:

1. Misserfolgstoleranz (Mittelwert: 68%)

  • Hoch: Verarbeitet Misserfolge emotional neutral, erinnert nur die Lernerfahrung
  • Niedrig: Verdrängt Misserfolge, reduziert Lernprozesse, negative Gefühle bleiben
  • Frage: "Beschreiben Sie eine Situation, wo Sie einen schweren Misserfolg erlebt haben. Wie genau war das?"

2. Belastbarkeit (Mittelwert: 72%)

  • Hoch: Bleibt gelassen und handlungsfähig auch unter Stress, gute emotionale Selbstregulation
  • Niedrig: Schwankungen in der Produktivität, Tendenz zum Grübeln, schwierige Distanzierung von negativen Gefühlen
  • Frage: "Erzählen Sie von einer Arbeitssituation, die Ihnen Schwierigkeiten bereitet hat." → Achte auf emotionale Flexibilität

7. Stellenprofile mit Metaprogrammen

Die Kombination verschiedener Metaprogramme ergibt präzise Stellenprofile. Hier die wichtigsten Beispiele:

VERTRIEB: Farmer vs. Hunter

FARMER (Bestandskundenpflege)

Metaprogramm-Profil:

  • Gleichklang-Faktor (Matching): 70%
  • Kontinuität (Prozedural): 80%
  • Dienstleister-Faktor (External): 80%
  • Personenorientierung: 60%

Gravesmodell:

  • Graves4: 70% (Verantwortung)
  • Graves6: 60% (Beziehung)

HUNTER (Neukundenakquise)

Metaprogramm-Profil:

  • Veränderungsblick (Mismatching): 60%
  • Aufbaufokus (Optional): 70%
  • Entscheidungsfähigkeit (Internal): 60%
  • Proaktiv: 70%

Gravesmodell:

  • Graves5: 80% (Leistung & Erfolg)
  • Graves3: 50% (Durchsetzung)

8. Praktische Anwendung im Interview

Metaprogramme im Interview zu erkennen erfordert Übung. Hier sind die wichtigsten Tipps für die praktische Anwendung:

Die goldenen Regeln

  1. Achte auf das WIE, nicht das WAS: Die Art der Antwort (Sprachstruktur, Körpersprache, Stimmklang) ist wichtiger als der Inhalt.
  2. Stelle offene Fragen: Metaprogramm-Fragen sind offen formuliert und lassen dem Kandidaten Raum für seine natürliche Antwortstruktur.
  3. Vertiefe bei Inkongruenz: Wenn Inhalt und Körpersprache nicht übereinstimmen, frage nach.
  4. Kein Richtig oder Falsch: Metaprogramme sind wertfrei - es geht um Passung zur Position, nicht um "bessere" Ausprägungen.

Praxis-Tipp

Beginnen Sie mit 2-3 Metaprogrammen, die für Ihre Position besonders relevant sind. Mit Übung können Sie dann weitere Muster in Ihre Interviews integrieren.

Häufige Fragen zu Metaprogrammen

Ja, Metaprogramme lassen sich im Interview gut einschätzen – allerdings nicht mit der Präzision einer wissenschaftlichen Potenzialanalyse. Die Interview-Technik erlaubt Ihnen eine Einschätzung in groben Kategorien (z.B. "Zielmotivation überwiegt", "ausgeglichen", "Problemlösungsmotivation überwiegt").

Für eine präzise Messung in 10%-Schritten benötigen Sie eine psychometrische Potenzialanalyse wie die esc Potenzialanalyse.

Empfehlung: Nutzen Sie Metaprogramm-Fragen im Interview für ein erstes Persönlichkeitsbild. Bei Schlüsselpositionen ergänzen Sie durch eine wissenschaftlich fundierte Potenzialanalyse.

Obwohl beide Modelle Wurzeln in C.G. Jungs psychologischen Typen haben, wurden Metaprogramme unabhängig vom MBTI entwickelt.

Hauptunterschiede:

  • MBTI: Typen-Modell (16 feste Typen), primär für Selbstreflexion entwickelt
  • Metaprogramme: Kontinuum-Modell (unendlich viele Kombinationen), speziell für Assessment & Coaching
  • MBTI: Kategorisierung (entweder/oder)
  • Metaprogramme: Prozentuale Ausprägungen (z.B. 70% / 30%), kontextabhängig

Metaprogramme sind für Recruiting präziser, weil sie feinere Nuancen erfassen und positionsspezifisch eingesetzt werden können.

Im Interview ist Verfälschung schwierig, da nicht der Inhalt, sondern die Form der Antworten analysiert wird. Kandidaten konzentrieren sich auf das "Was", Sie achten auf das "Wie" (Sprachstruktur, Körpersprache, Stimmklang).

Manche Metaprogramme haben eine "Image-Variante": Zielmotivation (Hin-Zu) wird oft als wünschenswerter empfunden. Deshalb sind Vertiefungsfragen und Kongruenz-Prüfung entscheidend.

Bei psychometrischen Tests mit Forced-Choice-Format (wie der esc Potenzialanalyse) wird Verfälschung zusätzlich durch die Testmethodik erschwert.

Die wichtigsten Metaprogramme für Führungspositionen:

  1. Entscheidungsfähigkeit (Internal): Ideal sind 60% internal / 40% external.
  2. Aufbaufokus vs. Kontinuität: Unterscheidet Leadership von Management.
  3. Proaktiv: Ideal sind 50-70% proaktiv.
  4. Personenorientierung: Für agile Führung / Leadership wichtiger.

Faustregel: Leadership-Positionen brauchen mehr Personenorientierung + Aufbaufokus. Management-Positionen brauchen mehr Sachorientierung + Kontinuität.

Metaprogramme sind relativ stabil, aber nicht unveränderlich:

  • Kontextabhängigkeit: Im Arbeitskontext können andere Metaprogramme dominieren als im Privatleben
  • Zustandsabhängigkeit: Bei Stress können sich Metaprogramme verändern
  • Entwicklung: Durch bewusste Reflexion und Training können Metaprogramme langfristig beeinflusst werden

Für Recruiting: Erfragen Sie immer den spezifischen Arbeitskontext ("Was ist Ihnen in Ihrer Arbeit wichtig?"), nicht allgemein.

Die Literatur beschreibt 15-20 verschiedene Metaprogramme, je nach Autor. Für Recruiting sind die 10+ hier vorgestellten Metaprogramme die relevantesten:

  1. Ziel- und Problemlösungsmotivation
  2. Gleichklangfaktor und Veränderungsblick
  3. Entscheidungsfähigkeit und Dienstleister-Faktor
  4. Aufbaufokus und Kontinuität
  5. Proaktiv und Reflektiv
  6. Überblicks- und Detailorientierung
  7. Prozessfokus und Personenorientierung
  8. Konzeptfokus und Praxisorientierung
  9. Resilienz (Misserfolgstoleranz & Belastbarkeit)

Ein strukturiertes Bewerbungsgespräch kombiniert 3 Ebenen:

  1. Fachliche Kompetenz: "Kann er/sie die Arbeit machen?"
  2. Persönlichkeit via Metaprogramme: "Wie wird er/sie die Arbeit machen?"
  3. Cultural Fit via Werte & Graves-Level: "Passt er/sie zu uns?"

Empfohlener Zeitanteil: 30% fachlich, 50% Persönlichkeit, 20% Cultural Fit.

Weiterführende Ressourcen:

Bücher:

  • "Neue Wege im Recruiting" von Ralph Köbler (Haufe Verlag) – Das Praxisbuch zu Metaprogrammen & Gravesmodell im Recruiting
  • "Words That Change Minds" von Shelle Rose Charvet
  • "Figuring Out People" von Woodsmall & Woodsmall

Praktische Anwendung:

Metaprogramme in der Praxis erleben

Erstellen Sie jetzt Ihren kostenlosen DISCOVER ACCOUNT und erleben Sie, wie die esc Potenzialanalyse Metaprogramme und das Gravesmodell für präzises Recruiting kombiniert.